Hände, sanft und kräftig zugleich. Sie gleiten über das Gesicht des jungen Mannes, verteilen Rasiercreme, massieren sie ein, und sofort tanzen Duftmoleküle durch den Raum; es ist Eukalyptus, dazu ein Hauch frischer Zitrone. Tief atmet der junge Mann ein und aus, inhaliert die Gerüche, die Stille, lässt all das sich ausbreiten, genießt, während im Hintergrund – es könnte kaum passender sein – das alte Grammophon eine Platte aus dem „Land des Lächelns“ spielt, „Dein ist mein ganzes Herz“ von Franz Lehár. Ritualisierte, musikuntermalte Ruhe, während die Haut vorbereitet wird auf eine ganz besondere Behandlung – so zieht Mann ein ins Wohlfühl-Walhalla des Essener Kult-Barbiers Guido Bösherz (46).

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DE_Barbier

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„In Ordnung, weiter geht’s“, unterbricht Guido die gedankliche Reise in der Zeitmaschine, „Marlons Haut ist weich genug, die Poren sind offen, jetzt wird rasiert“ – was so eigentlich nicht ganz stimmt, denn eigentlich ist’s mehr ein Zelebrieren: Der Barbier steht leicht gebeugt über seinem Sohn, tänzelt um den alten Ledersessel, den er bei e-bay ersteigert hat, elegante, leicht federnde Schritte, mal rechts herum mal links herum; fast sieht es aus wie choreografiert – was nicht weiter überraschen würde, schließlich war Guido früher Mitglied des Ensembles im berühmten Pina Bausch Tanztheater in Wuppertal.

Während er mit dem Rasiermesser Schneisen in den Schaum zieht – das Chrr-t, chrr-t wirkt seltsam hypnotisch –, reduziert sich alles auf Wesentliches. Atmen. Fühlen. Sanft segelt die Seele in die Tiefe des Körpers, und Zug um Zug legt sich Zufriedenheit auf Guidos Gesicht. Er entfernt nun letzte kleine Härchen an Hals und Kehle, schneidet die Konturen des Schnurrbartes mit einer Schere nach, trägt ein Lavendel-After Shave auf und schließlich etwas Talkpuder, das „die nach der Rasur sensible Haut schützt“.

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