(…) Als Gregor mit seinen Spinnenbein-dünnen Fingern eine extra lange Line auf dem Tresen gezogen hatte – „wird ja auch `ne lange Nacht, oder!“ –, nahm ich endlich sein Plastikröhrchen, meine Hände zitterten ein wenig. Dann steckte ich meine Nase in Dinge, die mich eigentlich niemals etwas angehen sollten – die aber Polizei und Presse bestimmt interessiert hätten; ich zog das Pulver hoch, schnell und heftig, es brannte auf den Schleimhäuten. Dann geschah… – gar nichts. Zwei Minuten, drei Minuten – immer noch nichts. Wo war der elektrisierende Rausch, von dem alle gesprochen hatten, diese Euphorie, dieser energetische Kick, der angeblich besser sein sollte als Sex? Nichts von alledem fühlte ich, als ich auf die Tanzfläche ging; ich versuchte an nichts zu denken und mich der Musik hinzugeben. Der DJ trieb jetzt schnellere Beats durch die Boxen, und die Meute kreischte ekstatisch. Dann – ganz plötzlich! –, geschah etwas mit mir. Jetzt geht es los, dachte ich, jetzt kommt der Kick. Doch es war kein Kick, es war eher wie ein heftiger Schlag auf den Kopf. Alles fing an sich zu drehen, mein Herz raste, mein Körper begann an zu zittern. Verdammt, was geschieht mit mir? Panik züngelte, noch auf kleinem Flämmchen. Wo waren die anderen, gerade sind sie doch noch hier gewesen? Auf der Tanzfläche nur unbekannte Gesichter; Nachtgestalten in ihrer eigenen, vom Kunstnebel verschleierten Welt.
Ich irrte durch die Menge, verlor die Orientierung; ich musste pinkeln, landete schließlich auf einer überfüllten Toilette, auf der es – wie überall in diesem Club – keinen einzigen Spiegel gab. Hinter einer halbgeschlossenen Klotür übergab sich jemand. Raus hier, ich torkelte weiter. Treppen, dunkle Winkel, bloß nicht in einen der Darkrooms stolpern. Im Berghain weißt du nie, was hinter der nächsten Ecke geschieht. Ein halbnacktes knutschendes Pärchen; ein Blowjob – doch es war Gregor, der mir entgegenkam, als ich wackelig um einen senkrecht stehenden Stahlträger kurvte. Schweißausbrüche. Gänsehaut. Alles tat weh, meine Beine gehorchten mir mittlerweile kaum noch, die Arme baumelten scheinbar nutzlos am Körper. Ich quälte mich noch ein paar Schritte vorwärts, krallte mich an Gregors Arm fest; ich war kurz davor umzukippen. Dann war auch Roger da. Gemeinsam stützten mich die beiden, bugsierten mich die Treppe herunter, vorbei an der in Trance zuckenden Körper-Kirmes, und schließlich nach draußen. Vogelgezwitscher-durchsetzte Frischluft – doch die machte nichts besser. Gregor rief ein Taxi, stieg mit mir ein. Ich ließ mich auf den Rücksitz plumpsen, es stank in dem Wagen, das war das letzte, an das ich mich erinnere. Eingeengtes Sichtfeld. Kollabierender Kreislauf. Dann gingen die Lichter aus. (…)
Wir trafen uns morgens um neun Uhr am Düsseldorfer Hauptbahnhof; eine hibbelige Gänseschar, die ihre schwitzig-hitzige Aufgeregtheit kaum im Zaum halten konnte. Kurz darauf ging’s dann auch schon in ein Fotostudio in der Innenstadt, wo Heidi Klum bereits auf uns wartete. Das war schon ein großer Moment, ihr mit kalten Patschefingerchen das erste Mal die Hand zu schütteln; sie war ein Star und damals eine offene, natürliche und liebenswerte Person, die sich rührend wie Mama Walton um uns gekümmert hat. Übrigens auch, wenn die Kameras nicht liefen. Danach allerdings ging’s ziemlich schnell zur Sache, der Welpenschutz für uns Beauty-Küken wurde ratzfatz aufgehoben: Bereits am ersten Tag mussten zwölf Mädchen gehen, am zweiten Tag waren es acht. Schließlich blieben zwölf übrig – und ich gehörte dazu. Man sagte uns, wir würden noch am Nachmittag für ein Dessous-Shooting nach New York fliegen. NEW YORK, ich meine, HALLO!, ich war bislang in Jena gewesen und in Dresden und mit Mama und Gummikrokodil an der Adria. Doch jetzt sollte es nach New York gehen. In den Big Apple, in die geilste Stadt der Welt, die angeblich niemals schläft. Wie Würfel im Knobelbecher purzelten die Gedanken in meinem Kopf kreuz und quer durcheinander. Du schaffst es wirklich, dachte ich, oh Gott, Du bist so nah dran, jetzt schießt Du wie eine Silvesterrakete in den Fashionhimmel – jetzt wirst du ein Topmodel. Der erste spürbare Dämpfer kam neun Flugstunden und eine Taxifahrt später, als wir bei Victoria’s Secret eingetroffen sind.
In der heiligen Wäsche-Walhalla nämlich hat unser Grüppchen glücklich gackernder Laufsteg-Elfen in spe dann richtige Supermodels getroffen. Da schwebten Russinnen an uns vorbei und Brasilianerinnen, alle 1,90 groß und unendlich schön. Gazellen, anbetungswürdige Göttinnen, die alles überstrahlten. Nur Eine, die funkelte noch heller als die anderen: Karolina Kurkova, die damals zu den bestbezahlten Models der Welt gehörte. Was für ein Engel, dachte ich, auch wenn sie gerade nur Jeans und T-Shirt trug und nicht die berühmten Federflügel; was für eine Grazie, was für fließende Bewegungen. Ein angedeutetes Lächeln, Hello, hauchte sie – und, tschwupps, waren meine verflixten Komplexe wieder da. Karolina war ein echtes, wirkliches Super-Super-Super-Model, eine Beauty-Gigantin. Im Vergleich zu ihr waren wir zirkuszwergenklein, wir alle waren Lieschen Müller – nett, adrett und so außergewöhnlich wie ein Pinguin in der Antarktis. Neuronen feuerten die schmerzliche Nachricht in mein Bewusstsein: In dieser Liga wirst du nie spielen, niemals. Ich glaube, das ging uns damals allen so, auch Lena Gercke, die die erste GNTM-Staffel später gewonnen hat. Wir hatten uns etwas vorgemacht – ein klarer Fall von Pipi-Langstrumpf-Syndrom, ich mach mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt. Wir waren nicht Germanys next Topmodels und wir würden es niemals sein (…)