Jochen geht es dreckig. Das Grün auf seinem Gesicht, es ist eines dieser Unheil verkündenden, wirft spontan die Frage auf, ob Sushi „von irgendwo hinterm Hauptbahnhof“ wirklich eine gute Idee gewesen ist. Nein, das wisse er auch, sagt der Banker, allerdings erst, seit er am gestrigen Abend den heimischen Sanitärbereich einem ausgiebigen Belastungstest unterzogen habe…
Nur wer es wirklich braucht (oder Gefallen an einer einsam im Heizstrahler verglühenden Fliege findet), sitzt heute draußen: Schmuddelwetter, auf den 300 Plätzen der Roma-Terrasse tummeln sich versprengte Frischluftjunkies. Früher hatte das Café noch 2500 Sitzgelegenheiten im Freien. Plastikstühle und Martini-Sonnenschirme standen im Sommer – vor den Olympischen Spielen 1972 gab es den Altstadtring dazwischen noch nicht – bis zum kathedralenartigen Sitz der Regierung von Oberbayern. Die Geschichte reicht weit zurück: Das Lokal gibt es bereits seit 1890, damals wurde die Straßenbahn noch von Pferden gezogen. Seit 1939 heißt es Roma, es blieb während des Krieges geöffnet, wurde ab 1955 von Kammerschauspieler Hans Reiser und seiner Frau Irmgard geführt und schließlich von Gabriel Lewy 1999 übernommen.
Auf welch traditionsgeschwängertem Boden er heute seinen Cappuccino schlürft, ist einem Jungspund auf einem der Ledersessel wohl kaum bewusst. Bestimmt aus gutem Haus, wenn auch beratungsresistent in Sachen altersgemäßem Schmuck – er trägt Brillanten-Rolex, Siegelring und Goldarmband –, wird forsch das Balzverhalten am Nachbartisch kommentiert. Seine Mutter mag das nicht hören, pocht auf den anstehenden Einkaufsbummel, „du brauchst jetzt wirklich neue Hosen“, und sieht dann doch hinüber: Ein großer Baggerozy, vielleicht muss man erwähnen, dass ihm etliche schicke Immobilien in der Stadt gehören, gibt dort alles, um einen bezaubernden Schmetterling in roten Stilethos zu bezirzen. Und als die beiden wenig später gemeinsam hinaus in den Regen flattern – Casanova mit getrimmtem Siegerlächeln –, zeigt sich auch der jugendliche Kritiker beeindruckt.
Karin, Münchnerin mit Hauptwohnsitz auf Ibiza, kennt dagegen das Roma vergangener Tage. Sie weiß vom Schwabinger Maler Jukmanovic, der sein Essen manchmal mit einem seiner Bilder bezahlte. Und von Thomas Gottschalk, der in den 80ern eine Wohnung über dem Café besaß und dort – in sehr intimem Kreis – schon damals beachtliche Unterhalterqualitäten bewies. Vor vielen Jahren ist Karin dann verschwunden aus München. Ab in den Süden, jede Menge Männer, noch mehr Joints und „eine Staffelei als beste, weil einzige, Freundin“. Mittlerweile – das einstige Blumenmädchen ist über 50 und, laut Eigendefinition, ein sexuelles Perpetuum mobile, das die Pinsel nur noch zum Malen schwinge – hat die Wahlheimat etwas an Reiz verloren.
Zu verrückt gehe es dort zu, sagt sie. Und illustriert das mit einer Anekdote über ihren Nachbarn, ein Franzose, der, „völlig entmenscht von was auch immer“, mit einer Schrotflinte regelmäßig Jagd auf das Christkind mache. „Vielleicht“, meint sie, „sollte ich wieder nach Hause kommen, zurück nach München…“
Geschichten, die das Roma schreibt… A domani!